Samstag, 14. April 2012

Emotive Lexeme in der Literatur und ihre Auswirkung auf das Konstruieren von Textwelten

Um emotionsausdrückende Wörter näher zu betrachten sollte sicher sein, um welche Art Wörter es sich handelt. Emotive oder auch affektive Wörter drücken Gefühle aus. Sie sind allerdings keine Gefühlswörter. Der Unterschied liegt darin, dass Gefühlswörter Emotionen beschreiben, während emotive Wörter Gefühle bezeichnen und sie zum Ausdruck bringen. Gefühlswörter haben also eine Deskriptionsbedeutung, emotive Wörter eine Emotionsbedeutung. Anhand eines Beispiels lässt sich dies leicht verdeutlichen. Die Aussage „Emil sagte, dass er Luise liebt.“ beinhaltet die reine Sachinformation der Gefühle Emils für Luise. Der Leser nimmt dies zur Kenntnis, in ihm wird jedoch kein emotionaler Prozess in den Gang gesetzt. Dies liegt daran, dass das Verb 'lieben' ein Gefühlswort ist. Es beschreibt den emotionalen Zustand der Liebe, ruft dieses Gefühl aber nicht hervor. Ausnahme sind in diesem Fall die 'Ich-Sätze', da sie subjektive Emotionen ausdrücken. In der Aussage „Emil sah endlich seine Luise wieder.“ wird dem Leser indirekt vermittelt, dass Emil Gefühle für Luise hegt, obwohl dieser Zustand nicht beschrieben wird. Das liegt zum Einen an dem Adverb 'endlich', zum Anderen an dem Personalpronomen 'seine'. Endich suggeriert, dass eine Zeit überbrückt wurde und dass lange auf ein Ereignis, welches nun in Kraft tritt, gewartet wurde. Der Leser verbindet mit diesem Adverb, dass Emil erleichtert ist. Ersetzt man 'endlich' durch ein Synonym nicht emotiver Art, beispielsweise 'nach kurzer Dauer'1, bleibt der Sinn erhalten, jedoch schiebt sich die Informationsebene wieder in den Vordergrund. Es werden keine emotionalen Prozesse angesprochen und das Gefühl der Erleichterung wird nicht suggeriert. Des weiteren hat das Personalpronomen 'seine' hier eine emotive Wirkung. Der Leser empfindet eine Verbundenheit zwischen Emil und Luise. Die emotive Wirkung kann kontextgebunden und somit meist auch selbsterklärend sein, oder mit Hilfe unscheinbarer Wörter zum Ausdruck gebracht werden. Zum Beispiel mit den kürzesten Wortarten, den Interjektionen. Interjektionen sind Wörter wie „Ach“, „Oh“ oder auch „Igitt“. Sie drücken sehr verschiedene Gefühle aus, ohne sie direkt zu beschreiben. Ein dem Satz vorangestelltes „Oh“ drückt meist Erstaunen aus, ein „Aua“ steht im Allgemeinen für Schmerz. In der Literatur wird häufig mit emotiven Wörtern gearbeitet, um einen tieferen Eindruck der Gefühle der agierenden Personen zu hinterlassen. Werden Emotionen ausgedrückt, so konzentriert sich der Leser nahezu ausschließlich auf die Gefühle und konstruiert seine Textwelt nicht weiter. Das liegt daran, dass in Sätzen, in denen es darum geht, Gefühle auszudrücken oder hervorzurufen, kein Sachverhalt beschrieben wird. Mit Hilfe eines Beispiels lässt sich dies verdeutlichen. In Shakespeares Romeo und Julia heißt es:

Was ist das hier? Ein Becher, festgeklemmt in meines Trauten Hand? - Gift, seh' ich, war sein Ende vor der Zeit. - O Böser! Alles zu trinken […] Ach, vielleicht hängt noch ein wenig Gift daran, und […]“ (Shakespeare, 5. Aufzug, Dritte Szene, S.174 Zeile 11ff.)

Beim Lesen des zweiten Satzes konstruiert man eine Textwelt. Man stellt sich vor, wie der tote Romeo liegt und in seiner Hand einen Becher hält. Hier wird reine Sachinformation vermittelt. Auch im folgenden Satz konstruiert man die Textwelt, um eine visuelle Erscheinung der beschriebenen Situation zu erhalten. Dann folgt eine Interjektion, nämlich das 'O'. Hier werden die emotionalen Prozesse angesprochen und dem Leser wird verdeutlicht, dass Julia erstaunt und auch erzürnt ist. Wut kann in einer Textwelt nicht konstruiert werden, lediglich eine wütende Person. Nun heißt es hier jedoch nicht „Julia ist wütend, da sie ihren Romeo sah.“, denn die Emotionen sollten den Leser fesseln und er sollte mitfühlen. Etwas weiter im Dialog folgt die Interjektion 'Ach', welche Hoffnung, aber auch Verzweiflung ausdrückt. Im Kontext des Buches weiß man bereits, dass Julia ihren geliebten Romeo verloren hat und sich nun nach dem Tode sehnt. Das Wort 'Ach' steht also für die Hoffnung, noch etwas Gift an den Lippen ergattern zu können. Auch hier konzentriert sich der Leser auf die Gefühle von Julia, da diese scheinbar verzweifelt ist. Interjektionen sind also ein durchaus zweckorientiertes Mittel, um in der Literatur Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Aber auch Adjektive und Adverbien sind unter den emotiven Lexemen stark vertreten. Adverbien, wie zum Beispiel leider, endlich, gern oder auch vergebens, beschreiben meist einen Zustand, eine Sache oder eine Information, ohne dass die eigentliche Information im Vordergrund steht. In dem Satz „Hans wartete vergebens.“ wird lediglich beschrieben, dass eine Person namens Hans umsonst auf ein Ereignis wartet. Der Leser empfindet jedoch Mitleid, da mit dem Adverb 'vergebens' dieses Gefühl verbunden wird. Ersetzt man es durch ein Synonym, beispielsweise 'ohne Resultat'2, so gerät wieder die Sachinformation in den Vordergrund, denn 'ohne Resultat' beschreibt bereits einen Zustand, bzw. eine Situation, während 'vergebens' ein Gefühl beschreibt.

Als der sechzehnjährige Karl Rossmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war […]“ (Franz Kafka, Band 1, „Der Heizer“, Seite 1, Zeile 1ff.)

Das Adjektiv 'sechzehnjährig' beschreibt den Protagonisten. Man fängt an, eine Textwelt zu konstruieren, da hier eine Sachinformation vermittelt wird. Auch der Rest dieses Satzes vermittelt Informationen, mit denen man sich ein Bild der dargestellten Situation macht. Das ist gerade am Anfang eines literarischen Werkes wichtig, damit der Leser eine gewisse 'Basis-Textwelt' hat, in die er alle folgenden Informationen hinein konstruiert. Ist ein geistiges Bild geschaffen, so können auch emotive Lexeme verarbeitet werden. Im obigen Beispiel konstruiert man sich einen jungen Mann, der, vermutlich mit dem Schiff, auf dem Weg nach Amerika ist. Bereits im ersten Nebensatz hantiert der Autor mit einem emotiven Adjektiv. Er beschreibt die Eltern des Jungen als 'arm'. Hier ist anzunehmen, dass nicht der finanzielle Zustand gemeint ist, da die Eltern anscheinend genug Geld haben, um ihren Jungen nach Amerika schicken zu können. Mit dem Adjektiv 'arm' wird vielmehr suggeriert, dass der junge Karl den Eltern scheinbar Kummer bereitet hat und deshalb in die Ferne geschickt wird. Das Wort 'arm' hat an dieser Stelle also die Funktion von 'bedauernswert' oder 'bemitleidenswert' und ruft beim Leser Mitleid hervor. An dieser Stelle ist ein emo-tionsausdrückendes Wort sehr hilfreich, um die verzweifelte Situation der Eltern darzustellen und zu rechtfertigen, weshalb sie den Sohn wegschickten. Der Autor hätte sich auch dem Synonym 'beklagenswert' bedienen können, nur ruft 'beklagenswert' bei dem Leser kein Mitleid hervor, sondern dient als Deskriptionsbedeutung eher der Sachinformation. Ein Adjektiv als emotives Wort hilft folglich nicht dem Konstruieren von Textwelten. Ähnlich verhält es sich mit Phraseologismen, auch bekannt als Phraseme. Phraseme können beim Erschaffen einer Textwelt helfen, je nach Kontext haben sie allerdings auch eine gefühlsbezeichnende Wirkung.

Furcht eben nicht, nur eißkalt läufts mir über den Rücken. O weh!“ (Johann Emanuel Schikaneder, 2. Akt, Zweyter Auftritt, Seite 55, Zeile 1ff.)

Papageno und Tamino fürchten sich vor dem nächtlichen Donnerwetter. Hier hat der Leser bereits eine Textwelt geschaffen mit Hilfe der Situationsbeschreibungen, da es sich um ein Theaterstück handelt. Der Autor kann sich also auf die emotive Wirkung im Dialog konzentrieren. Das Subjektiv 'Furch' ist ein Gefühlswort. Es beschreibt das Gefühl, welches Papageno empfindet. Emotive Wirkung hat hier das Phrasem 'eiskalt den Rücken herunter laufen', mit welchem man allgemein Angst verbindet. Möglich wäre hier auch gewesen, 'ich habe Angst' zu verwenden, da in einem Dialog, wie bereits erwähnt, auch Ich-Sätze eine emotive Wirkung erzielen können. Der Autor entschied sich allerdings für dieses Phrasem, da es eine tiefere Wirkung hinterlässt. Ebenfalls verwendete er an dieser Stelle eine Interjektion, welche nochmals Ausdruck verleiht.

Das Weib ist eine alberne Gans. […] Was für ein Esel streckt sein Langohr aus diesem Geschwätze?“ (Friedrich von Schiller, 1. Akt, 2. Szene, Seite 5, Zeile 27ff.)

Die emotive Wirkung wird hier durch ein herablassendes Substantiv in Verbindung mit einem Vergleich erzielt. Zum Einen wirkt 'Weib' erniedrigend, da hier auch 'Frau' verwendet werden könnte, zum Anderen verdeutlicht der Vergleich mit einem Tier, hier der Gans, die Sichtweise des Sprechenden und die Beziehung zwischen ihm und der genannten Person. Würde der Autor das Adjektiv 'albern' weglassen, so würde der Leser seine Textwelt weiter konstruieren und sich die Frau als Gans vorstellen. Das Gleiche würde geschehen, wenn anstelle von 'Weib' das Substantiv 'Frau' gesetzt würde. Nicht konstruierbar wäre der Sachverhalt, wenn das Adjektiv bliebe und nur das Substantiv durch 'Frau' ersetzt würde. Auch hier würde der emotionale Prozess in den Vordergrund geraten. Des weiteren agiert der Autor mit einem Zirkumfix, welche oft eine verachtende Wirkung haben. In diesem Fall das Wort 'Geschwätze'. Es soll die negative Beziehung vom Redner zur besprochenen Person widerspiegeln. Hätte er eine positive Beziehung zu der von ihm betitelten 'albernen Gans', so hätte sich der Autor vermutlich eines Suffixes, wie zum Beispiel -chen oder -lein, bedient. Und auch in diesem Beispiel kann man gut erkennen, dass emotive Lexeme beim Erschaffen von Textwelten nicht helfen.

1 Im Online Wörterbuch der Synonyme auf www.woxikon.de als Synonym für 'endlich' angegeben

2 Im Online Wörterbuch der Synonyme auf www.woxikon.de als Synonym für 'vergebens' angegeben

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